Europa vor der französischen Revolution: die feudalen Verhältnisse modern vor sich hin, das Althergebrachte zerbröselt, Philosophen, Schriftsteller und Künstler sind dabei, die alte Welt zu verabschieden und eine neue zu entdecken: die weite Welt der Freiheit.Judith Macheiner, Autorin ungewöhnlicher Bücher zur Kultur- und Sprachgeschichte, begibt sich in die Arbeitszimmer der Aufklärung. Sie besucht Denis Diderot, den scharfsinnigsten Kritiker des Ancien régime und bewunderten Mittelpunkt eines großen Freundeskreises von Schriftstellern und Philosophen, der in fast ärmlichen Verhältnissen, immer bedroht von der Zensur, in Paris lebt. Sie fährt nach London in das Theater des großen David Garrick, Schauspieler, Autor und erfolgreicher Theaterunternehmer, der mit neuen Interpretationen alter Stücke und mit zeitgenössischen Autoren aus Paris und Berlin Furore macht. Und sie folgt Gotthold Ephraim Lessing auf seinem ruhelosen Weg durch Deutschland, wo er zwischen Übersetzungsaufträgen, Literaturkritiken, Bibliotheksdienst und Arbeiten für das Theater nie sicher ist, ob er nächsten Monat noch die Miete zahlen kann, ob er wieder von seiner Spielsucht heimgesucht oder von den Landesvätern an der Aufklärung der Welt gehindert wird. Faszinierend sind hier nicht nur neue Einblicke in die Entstehungsgeschichte geistiger und politischer Freiheiten, verblüffend ist auch die Parallelität der Ziele, der Probleme, der Ängste und des Glücks bei Diderot, Garrick und Lessing - in Paris, London, Berlin.

Der Morgen der Meinungsmacher Mai 1751, Spandauer Straße 'Kann er sich nicht setzen?', sagte Lessing zu dem Boten, der immer noch neben der Tür stand und auf das Manuskript wartete, das er in die Druckerei bringen sollte. 'Oder wenigstens aufhören, mit den Dielen zu knarren', fügte er mit einem kurzen Seitenblick auf den jungen Mann hinzu, der nur auf dem Boden noch einen Platz zum Sitzen finden konnte. Tische, Stühle, Kisten waren übersät mit wild aufgetürmten Papierhaufen, zwischen denen Gesteinsproben, getrocknete Pflanzen und Teile von Tierskeletten lagen. Bis auf das kratzende Geräusch der Feder war es ganz still im Raum, so dass der Bote merklich zusammenfuhr, als plötzlich hinter dem Vorhang vor dem Alkoven auf der Rückseite des Zimmers jemand hustete: 'Ich habe Durst', sagte eine verschlafene Stimme. 'Wie spät ist es?' Mylius hatte wieder einmal seine Beziehungen mit dem akademischen Berlin bis spät in die Nacht hinein gepflegt und es Lessing überlassen, das Juniheft mit dem >Neuesten aus dem Reiche des Witzes< fertig zu machen. Er nahm ein paar Blätter von dem Stapel mit den Kopien, die Lessing gerade mit der Abschrift des letzten Teils vervollständigte. '>Denn wem ist die Gewohnheit des Herr Diderot unbekannt?<', las er '>er schweift überall aus, er springt von einem auf das andere, das letzte Wort einer Periode ist ihm ein hinlänglicher Übergang. die beste Entschuldigung ist, dass alle seine Ausschweifungen voller neuer und schöner Gedanken sind. Wenn uns doch alle unordentlichen Schriftsteller auf diese Art schadlos halten wollen.< Also ich', sagte Mylius und legte die Blätter zurück, 'bin nicht über die erste Seite von Diderots Essay hinausgekommen.'Lessing nahm die giftige Bemerkung persönlich. Seine Bewunderung für Mylius, der alles zu wissen schien, jeden kannte, so begeisterungsfähig wie kritisch war, hatte sich in der letzten Zeit merklich abgekühlt. Mylius war unordentlich ohne die >neuen und schönen Gedanken< Diderots. In seinem Kopf sah es nicht anders aus als in der Dachkammer.